Samstag, 22. November 2008

Über Städtepartnerschaften

1. Allgemein
Städtepartnerschaften gab es schon bei den Neandertalern. Für uns heutigen ist die Entwicklung so ab 1945 interessant. Dabei geht es nicht um Partnerschaften innerhalb einer Nation, sondern um internationale Partnerschaften. "Neu" ist hieran, daß solche Städtepartnerschaften von "offiziellen" Stellen unterstützt werden. In Deutschland handelt es sich in der Regel um Vereine in denen sich interessierte Bürger organisieren. Manche Vereine werden "nur" von ausrangierten Politikern über Wasser gehalten, in anderen sind recht aktive Menschen organisiert. (Weiter untern wird ein etwas aktiverer Verein vorgestellt.) Informationen findet man in wikepedia:

de.wikipedia.org
* en.wikipedia.org * simple.wikipedia.org

Zur (globalen) Geschichte und der Entwicklung der Partnerschaften findet man derzeit nicht viel im Internet. An den Gründungsjahren erkennt man aber, daß in den 90er Jahren die Anzahl solcher Partnerschaften sprunghaft angestiegen ist und sich immer mehr Städte partnerschaftlich verbinden. Aus einem EU-Dokument (vermutlich 2001) finden wir folgende Darstellung:
I. Bisherige Erfahrungen mit Städtepartnerschaften und mögliche künftige Entwicklungen
Die Idee der Städtepartnerschaften wurde nach dem Zweiten Weltkrieg geboren. Vereinbarungen über Städtepartnerschaften sollen mithelfen, Beziehungen zwischen den Bürgern von Gemeinden in verschiedenen Ländern aufzubauen, und auf diese Weise zu gegenseitigem Vertrauen und Verständnis, Zusammenarbeit und Integration in Europa beitragen.
Zwar sind nach wie vor die Partnerschaften zwischen Nachbarländern dominierend (wobei allein die Hälfte aller Partnerschaftskontakte auf Deutschland und Frankreich entfällt), doch beteiligen sich inzwischen auch Mitgliedsländer, die weiter voneinander entfernt liegen, und Staaten, die nicht der Europäischen Union angehören. Heute (vermutlich 2000) bestehen über 7000 Partnerschaftsverbindungen innerhalb der Europäischen Union und mehr als 3600 Verbindungen mit anderen Ländern Europas. Dadurch verfügen wir über umfangreiche Erfahrungen auf diesem Gebiet, auf die wir uns auch besinnen sollten, wenn wir über die künftige Gestaltung von Partnerschaften entscheiden wollen.
(...)


Eine Liste aller türkischen Städtepartnerschaften zeigt exemplarisch welches Ausmaß diese Partnerschaften angenommen haben. An dieser Liste sieht man auch, daß einzelne Städte viele Städtepartnerschaften haben, z.B. hat Istanbul 48 "kardeş şehri" (Geschwisterstädte) rund um den Globus. Die einzelnen Partnerschaften sind nicht unbedingt unabhängig von einander, zwischen den 48 Istanbuler Geschwisterstädten können weitere Partnerschaften bestehen oder aufgebaut werden.

Insgesamt haben wir hier ein erfreuliches Resultat der bösen Globalisierung. In der Tat können über die Städtepartnerschafts-Vereine auch wirtschaftliche Kontakte laufen. Ob und was nun konkret läuft, hängt maßgeblich von den jeweiligen Menschen ab, die solche Partnerschaften organisieren und pflegen.

2. offizielle Unterstützung innerhalb der EU
Wie schon erwähnt, zeichnen sich solche Partnerschaften durch "offizielle" (kommunale und staatliche) Unterstützung aus. Innerhalb der EU bedeutet das: Es gibt Kohle! Dabei sollten wir Geld als eine Form öffentlicher Anerkennung mißverstehen, denn soviel gibt es nicht. Und man sollte diese Unterstützung auch nicht verschmähen, da viele Anfragen einen gewissen Nachfragedruck erzeugen und die entsprechenden EU-Menschen das Thema Städtepartnerschaften ernster nehmen als z.B. die berühmten EU-Gurken. Schon mit google finden wir folgende (aktuelle) Informationen. Hier eine Art Wettbewerb: www.europarl.europa.eu

5. Städtepartnerschaften und die europäische Bürgerschaft
(..)
Seit 2004 waren die Städtepartnerschaften Teil des gemeinschaftlichen Aktionsplans zur Förderung einer aktiven europäischen Bürgerschaft (2004-2006). Jedes Jahr verleiht die Europäische Kommission Goldene Sterne der Städtepartnerschaften*) an zehn herausragende Projekte, die erfolgreich zur europäischen Integration beigetragen haben. Seit 2007 werden die Städtepartnerschaften durch das neue Programm Europa für die Bürger (2007-2013) gefördert (s. 4.16.7). Dieses Programm soll unter anderem den Austausch und die Mobilität von Bürgern verstärken und Institutionen der Zivilgesellschaft fördern, die zu europäischen Themen arbeiten.
*) siehe: Golden stars award ceremony 2008

Einiges Material für interessierte Vereinsmenschen, Material, das über Anträge für die begehrten EU-Mittel informiert, findet man im Leitfaden Städtepartnerschaften von Michael Gahler (14-Seiten-pdf). Hier ein Auszug:

von Michael Gahler * Mitglied des Europäischen Parlaments * Brüssel, April 2007
2.2 An wen richtet sich das Programm?
Gefördert werden können alle Interessenten, die eine aktive europäische Bürgerschaft im Rahmen von Aktionen und Projekten fördern.
(...)


3. Wie bewerbe ich mich um Fördermittel? Mit wie viel Unterstützung kann ich rechnen?
Die für die Vergabe der Mittel zuständige Agentur der Europäischen Kommission ist die so genannte Exekutivagentur Bildung, Audiovisuelles und Kultur (EACEA).
Die EACEA bietet Ihnen in einem 110-seitigen pdf-Programmleitfaden eine ausführliche Übersicht über das Programm. Eine pdf-Kurzfassung des Programmleitfadens ist ebenso erhältlich.

Neben dieser europäischen Unterstützung gibt es natürlich noch Unterstützung auf kommunaler, Landes- oder Bundesebene.

3. Städtepartnerschaft Berlin-Kreuzberg * Istanbul-Kadıköy
Als Beispiel wird hier kurz die Städtepartnerschaft Kadiköy Berlin (Kreuzberg-Friedrichshain) vorgestellt.
Wie Kreuzberg Friedrichshain mit cirka 270.000 Einwohnern ein Stadtteil von Berlin, ist Kadiköy mit cirka 510.000 Einwohnern ein Stadtteil von Istanbul. Der Kadiköy-Verein wurde 1998 gegründet. Es ist klar, daß in ihm neben "normalen" Deutschen viele Berliner mit türkischen Wurzeln organisiert sind. Hier eine Art Gedächtnisprotokoll über eine Veranstaltung am 15.11.08. Auf dem Programm stand unter anderem ein Bericht über eine Vereinsreise nach Kadiköy.

Der Pavillon befindet sich im Hinterhof. Seine Wände bestehen zum Teil aus Glas. Ohne Gardinen. Es war schon dunkel. So drang Licht nach draußen und man konnte drinnen einige Vereinsmenschen bei Vorbereitungen beobachten. Es gab Speise und Getränk, ein älterer Herr in Küchenschürze beschäftigte sich mit Teigwaren... Es gab Tee in verschiedenen Tassen. Woanders wurde eine Diashow vorbereitet. Ein großer Teil der Eintretenden gehörte zum Verein oder kannte den Verein. Bald hatten sich etwa 30 Menschen um eine Tischkonstruktion versammelt.
Die Vorsitzende begrüßte alle Anwesenden und schlug vor, daß sich jeder vorstellte. Dies dauerte eine Weile, war aber ein gute Idee, denn außer mir ("ich komme frisch aus dem Internet...") waren weitere Neugierige gekommen. Eine Frau, Lehrerin, sprach für eine Berufsschule. Sie war sehr engagiert und hat mittels dem EU-Programm Leonardo gerade ein Projekt in Arbeit: Einige "ihrer" Schülerinnen wollen ein Praktikum in der Türkei machen. Sie hat vier junge Damen gleich mitgebracht. Zwei weitere Lehrerinnen kamen von einer anderen Schule, sie versuchen ebenfalls mittels EU-Programmen für ihre Schule ähnliches zu realisieren. Die Vereinsmitglieder stellten sich ebenfalls vor. Zwei Damen vertraten ein Berliner Frauenprojekt (Wohnungen für Frauen, die sich trennen). Einige Mitarbeiter, darunter der Leiter der Volkshochschule Kreuzberg sind Mitglied in dem Städtepartnerschaftsverein.
Im Oktober hatte der Verein eine Reise nach Kadiköy veranstaltet und darüber wurde nun ausführlich berichtet. Fotos wurden an die Wand geworfen. Man hatte verschiedene Projekte und Einrichtungen besichtigt und mit entsprechendem Personal gesprochen. Unter anderem eine Volkshochschule in Kadiköy, die von einer sehr energischen Frau geleitet wurde. Männer kochen dort Tee, wurde schmunzelnd berichtet. In dieser VHS gab es u.a. Alfabetisierungskurse, an welchen Neuistanbuler, die aus dem Fernen Anatolien in die Großstadt kamen, teilnahmen. Es gibt auch Kurse mit Titeln wie "das Leben in der modernen Stadt", wo die Teilnehmer u.a. ins Theater gehen. Auf den an die Wand geworfenen Fotos lachten und junge Menschen an, die Englisch lernten. In anderen "musischen" Kursen wird viel "gebastelt". Mode, Keramik, Gemälde usw. Und die Ergebnisse werden auch vermarktet, wobei die Kadiköyer Volkshochschule mit verschiedenen "privaten" Firmen zusammenarbeitet.
Ein Frauenhaus wurde besucht und die Istanbuler Universität. Die Reiseteilnehmer erzählten recht begeistert über Gesehenes und Gehörtes. So sind in den verschiedenen Projekten viele "ehrenamtliche" Bürger tätig, die anders als bei uns, Aufbruchstimmung verbreiten. Ältere Reiseteilnehmer fühlten sich an Bürgerinitiativen der 70er Jahre erinnert.
Der Kontakt zwischen der Türkei und Deutschland, speziell zwischen Kadiköy und Kreuzberg wird auch von vielen türkischstämmigen Deutschen gefestitgt, die oft gut ausgebildet in Istanbul Arbeit finden, manchmal sogar besser bezahlt als in Deutschland... Ein Gegenbesuch wurde vereinbart.
Nach dem Bericht wurden Speisen aufgetragen und in kleinen Gruppen weitere Ideen und Projekte besprochen...
---------------

Wie erwähnt kann eine Stadt (oder wie hier ein Stadtteil) mehrere Städtepartnerschaften haben. So hat Berlin viele weitere Partnerschaften. In Berlin Kreuzberg gibt es noch eine "lebendige" Beziehung zu Nicaragua aus den 80er Jahren und zwei "offizielle" (neuere) Beziehungen zu Oborishte (Sofia, Bulgarien) und zu Szczecin (Polen) und schließlich eine Beziehung zu Kiryat Yam (Israel), zu welcher es im Internet noch keine weiteren Infos gibt. Ob und in welcher Weise die Vereine zusammenarbeiten, müßte noch erforscht werden.

Summa summarum: Halbwegs lebendigen Bürgern kann man eine Mitarbeit in solchen Städtepartnerschaften nur empfehlen, schon alleine als eine "sinnvolle" Art für Tourismus...
Diskussionen (im Forum Zukunft)

.