Hier geht es um einen Vortrag gegen das Bedingungslose Grundeinkommen, den
Daniel Kreutz bei einem Treffen der ver.di-Linken NRW in Düsseldorf gehalten hat. Der Vortrag wurde Anfang des Jahres ins Netz gestellt:
Dieser Vortrag ist ziemlich lang, wir können ihn daher nicht komplett verarbeiten.
Die Frage, die Kreutz anschneidet, ob der Sozialstaat durch ein Grundeinkommen ersetzt wird, wurde schon in anderen Artikeln (z.B. Butterwegge) erörtert. Hier zur Wiederholung ein paar Bemerkungen.
Bis auf "Armut" bleiben auch bei einem BGE alle möglichen sozialen Probleme und Einrichtungen (Kriminalität, Resozialisierung, Frauenhäuser, Drogentherapieplätze usw usf). Die sozialen Einrichtungen werden nicht "ersetzt", sondern sie schrumpfen1). Die Betreuung der betroffenen Menschen kann in dreifacher Hinsicht verbessert werden: a) es sind dann viel weniger "bedürftig", b) die Einrichtungen müssen sich nicht mehr -wie heute- primär um die nackte Existenz ihrer "Kunden" sorgen und können das "eigentliche" Problem angehen und c) die noch verbleibenden Sozialsysteme können sich stärker als heute auf ehrenamtliche und engagierte Bürger stützen.
Auf zwei eher witzige Aspekte wollen wir hier genauer eingehen. Es geht, wie in der Überschrift angekündigt, um Kapitalismus. Allerdings soll er nicht überwunden und die "Klassen" aufgehoben werden. Es geht vielmehr um eine Rückführung unserer Gesellschaft ins Jahr 1848. Blos wie? Der Kapitalismus war einmal eine "Klassengesellschaft" daher brauchen wir erstmal etwas "Klassenkampf":
1. Keine "Volksfront" mit gefürchteten Klassenfeinden!
Im Abschnitt „Lagerübergreifendes“ Debattenspektrum will uns Kreutz erzählen, daß "Linke" immer unter sich bleiben (müssen). Sie haben zwar (aus ihrer Sicht) die besseren Argumente, aber sie können und dürfen nur sich selbst gegenseitig überzeugen. Den "Klassenfeind" mit friedlichen Mitteln überzeugen ist wider die Natur. Wenn nun dieser Feind Konzepte aus der Linken übernimmt, wie beispielsweise dieses Grundeinkommen2), dann ist Alarmstufe Rot: Alles in die Luftschutzbunker. Rette sich wer kann! Und die Linken müssen nun ihr Vorhaben aufgeben und mit Commandante Che Daniel Kreutz gemeinsam gegen dasselbe Vorhaben bei den Feinden "kämpfen". Also die altbekannte "revolutionäre" Methode, die wir (d.h. die älteren) schon aus den 70ern kennen: Links ist da wo der Daumen rechts ist! Wir fordern prinzipiell das Gegenteil von dem was unsre Feinde wollen. Und diese Methode ist besonders angesagt, wenn die Feinde gefürchtet sind:
(...) man trifft da auch auf den gefürchteten Ski-Rennfahrer Dieter Althaus von der CDU mit seinem Konzept eines sogenannten „Solidarischen Bürgergelds“, oder auf Thomas Straubhaar, den Chef des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts, der als einer der Falken des Neoliberalismus in Deutschland bekannt ist.
Gerüchte als Geschmacksverstärker dürfen nicht fehlen. . .
Man stößt auf Leute aus dem von den Metall-Arbeitgebern finanzierten neoliberalen Think Tank der „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“.
Offenbar sind hier geheime Mächte am Werk. Offiziell findet man immer noch:
Dies alles ist nur die Spitze des Eisberges:
Und vor allem auf einen, der so was wie das öffentliche Gesicht der bGE-Diskussion in Deutschland ist: den ehemaligen Drogeriemarktkönig und Milliardär Götz Werner, der mit dem bGE sämtliche Einkommens- und Kapitalsteuern abschaffen will, um nicht nur das bGE, sondern den gesamten Staatsaufwand über eine Mehrwertsteuer von 50 % zu bezahlen (siehe NRhZ 89).
Angeführt wird der Horror also von einem unersättlichen Milliardär! Mampf! Mampf! Noch Fragen?
Das ist also die böse BGE-Truppe. Kreutz nennt sie nicht die "Liberalen", sondern die "Rechten". Linksliberale, Sozialliberale oder liberale Linke gehören schon mal nicht dazu. Was nicht links ist, ist rechts, so die leicht einprägsame Formel. Was ist nun der Unterschied zwischen dem bösen und dem guten BGE?
Je nachdem, wie man sich in diesen Fragen positioniert, kann man zu Ergebnissen kommen, die sich materiell auf, unter oder über dem Niveau von Hartz IV bewegen, und die entweder den sozialrechtlichen Arbeitszwang durch einen verschärften materiellen Zwang ersetzen, oder die gleichsam ein Recht auf gesicherte Nichterwerbstätigkeit [Faulheit] begründen sollen.
Aha! Beim bösen BGE haben wir es mit verschärften materiellen Zwang (zur Arbeit) zu tun und beim guten, für Gewerkschaftler noch schlimmer, mit dem Recht auf gesicherte Nichterwerbstätigkeit.
Das Recht auch ohne Erwerbsarbeit zu existieren ist nur ein "Recht". Jeder Bürger hat z.B. das Recht auf einem Bein durch die Stadt zu hüpfen. Ob und in welchem Umfang Bürger von diesem Recht Gebrauch machen ist eine andere Frage.
Wenn überhaupt, sollte man alle möglichen Arbeits- und Lebenssituationen zugrunde legen und danach das böse und das gute BGE "beurteilen": Was ist mit Menschen, die gerne arbeiten, was mit solchen, die gerne Geld verdienen. Was ist mit Kindern, Schülern, Studenten, was bei "Bedarfsgemeinschaften" oder Familien. Zudem durchläuft jeder Mensch im Laufe seines Lebens verschiede Daseinsweisen, für die das BGE dann verschiedene Funktionen erfüllt.
Ist nun das böse und das gute BGE irgendwie vereinbar? Natürlich nicht! Das Böse möchte nämlich den "Arbeitgeber"3) entlasten, ihn von bürokratischen Fesseln und von der Verantwortung für seine "Arbeitnehmer" befreien. Das Gute dagegen hat (angeblich nur) die Arbeitnehmer im Auge. Bei ihnen ebenfalls Befreiung von diversen Fesseln, und Kreutz weiß nun genau:
Natürlich ist der linke Flügel der Gemeinde strikt gegen die Vorstellungen der Rechten und umgekehrt.
Als BGE-fan nimmt man jedoch beides in Kauf. Als "Linker" sagt man nicht: ja die Arbeitnehmer sollen frei sein und auf den Tischen tanzen und quasi als Ausgleich wird nun der Arbeitgeber auf seinen Chefsessel gefesselt und muß dasitzen und zugucken. Und umgekehrt nehmen die Liberalen mit der Freiheit des Unternehmertums auch die Freiheit der Arbeitnehmer in Kauf. Wozu also diesen Gegensatz konstruieren, der keiner ist. Vorstellungen spielen ohnehin keine so maßgebliche Rolle. In Götz Werners Vorstellungen dreht sich obendrein fast alles um den schaffenden Menschen und seine Autonomie. Hier ein aktueller Artikel von Götz Werner:
Jeder Mensch braucht ein Grundeinkommen
Das Fazit dieses selbstkonstruierten "Klassengegensatzes" liest sich dann so:
Meine Diagnose ist: sollte die Idee tatsächlich politikmächtig werden, sollte es reale politische Schritte in Richtung auf ein bGE geben, dann würde sehr schnell deutlich, dass die Neoliberalen da die harten Fakten setzen, während die Linken bloß die Illusionen beisteuern, die für’s öffentliche Marketing nützlich sind.
Die alte Leier also: das Böse ist schlau, setzt Fakten und berechnet. Das Gute ist dumm, träumt und trabt dem Bösen hinterher. Schlürf! Schlürf!
2. Zurück zum wahren Kapitalismus
Unter der Überschrift "bGE und Lohnsystem" werden wir belehrt darüber wie es in unserer Gesellschaft zu sein hat. Wir finden folgende bemerkenswerte Aussage:
Die Verfassungsbestimmung entspricht der Erkenntnis der ökonomischen Theorie [des Kapitalismus im 19. Jhd.], dass der Wert, der Tauschwert der Ware Arbeitskraft sich wie der Wert von Waren schlechthin an ihren Produktions- und Reproduktionskosten orientiert. Deshalb soll auch der Lohn, der Preis der Ware Arbeitskraft, grundsätzlich ihren Reproduktionskosten entsprechen. Bei den Löhnen werden diese Kosten mitbestimmt durch das vorherrschende Wohlstandsniveau. Es geht um Teilhabelöhne, wenn man so will. Was als Berücksichtigung von Qualifikation, Leistung, Erfahrung in die Lohnbildung eingeht, baut gleichsam auf der Existenzsicherungsfunktion auf.
und dazu passend:
Wir streiten heute für einen ausreichenden gesetzlichen Mindestlohn, weil wir verhindern wollen, dass sich Arbeitgeber aus ihrer Verpflichtung zu mindestens existenzsichernder Entlohnung abseilen und sich ihre Armutslöhne zu Lasten der Allgemeinheit über Hartz IV aufstocken lassen.
Hier wird uns also allen Ernstes die alte kapitalistische Produktionsweise, wie sie u. a. Karl Marx im Kapital beschrieben hat, als das einzig wahre Zukunftsmodell gepriesen: Jeder "Arbeitgeber" soll voll verantwortlich für "seine" Arbeitnehmer sein. Und umgekehrt soll der Arbeitnehmer auf Gedeih und Verderb von "seinem" Patron abhängen.
Ein solcher Arbeitgeber entspricht einem Fabrikbesitzer von 1848, der Menschen beschäftigte, die nichts anderes besaßen als ihre Arbeitskraft und die daher a) für den Fabrikbesitzer arbeiten mußten und b) einen Lohn benötigten, der mindestens zur ihrer Existenz und übrigens auch zur Existenz ihrer Familie reichte. Dieses kapitalistische System konnte nur funktionieren, wenn die "Proletarier" nicht noch nebenbei z.B. Land besaßen. Und so ähnlich, wie die Landbevölkerung im vorvorherigen Jahrhundert landlos gemacht wurde4), so schlägt uns Genosse Kreutz vor, die Bürger von heute in besitzlose Lohnsklaven zurückzuverwandeln, weil es seiner Ansicht nach ein ewiges ökonomisches Gesetz gibt, wonach "der Tauschwert der Ware Arbeitskraft sich wie der Wert von Waren schlechthin an ihren Produktions- und Reproduktionskosten orientiert." Und diesen "Tauschwert" hat (nur) der "Arbeitgeber" zu zahlen. Falscher Film?
Dieses Hirngespinst ist nur aus dem Wahn abgeleitet, wonach wir heute im "Kapitalismus" leben. Wir leben im Kapitalismus, also gucke ich im Kapital von Marx nach, wie er funktioniert und genau so muß es heute sein.
Bemerkenswert ist, daß es in der Geschichte der Arbeiterbewegung und in den Klassenkämpfen vergangener Epochen gerade darum ging, die Menschen und speziell die Arbeiter aus den Klauen einzelner "Arbeitgeber" zu befreien, den "Kapitalismus" und seine ökonomischen Gesetze zu überwinden. Heute sind wir diesem Ziel beträchtlich nahe. Schaut man sich das "ökonomische Gesetz" welches Genosse Kreutz uns als ewiges Naturgesetz präsentiert, genauer an, so sieht man, daß unsere Gesellschaft schon viel früher z.B. mit dem Kindergeld die Verantwortung für jedes einzelne Indiviuum übernommen hat. Allerdings ohne daß ein Ziel erkennbar war, aus Sachzwängen und schweren Kämpfen heraus. Spätestens mit dem Bedingungslosen Grundeinkommen wird dies wohl allgemein bewußt.
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1) Um zu existieren, nehmen viele Menschen soziale Einrichtungen und auch das Gesundheitssystem in Anspruch. Bei einem Grundeinkommen, würden sie das dann nicht mehr tun (müssen).
2) Man beachte, daß dieses Grundeinkommen als "Existenzgeld" bereits 1982 auf dem 1. (linken) Arbeitlosenkongress in Frankfurt als konkrete politische Forderung das Licht der Welt erblickte.
3) Auch wenn es penetrant wirkt: Wir müssen immer wieder darauf hinweisen, daß unter "Arbeitgeber" nicht nur "klassische" Unternehmer verstanden werden, sondern eben Bund, Land, Kommune, diverse gesellschaftliche Organisationen wie Kirche, Gewerkschaften, Parteien, aber auch z.B. Fußballvereine. Was die "Arbeitnehmer" betrifft, oder allgemein die "Erwerbstätigen", so ist das Bild ebenfalls recht bunt.
4) Im 24. Kapitel des 1.Kapitals hat Marx Geschichte und Entstehung des "Kapitalismus" beschrieben.
Dieses Kapitel ist durchaus aktuell (und gut lesbar), weil darin beschrieben wird, wie das von Genosse Kreutz erwähnte kapitalistische Produktionsgesetz sich entwickelt hat und was es konkret bedeutet: nämlich 100% Abhängigkeit des "Arbeitnehmers" (und seiner Familie) vom Arbeitgeber. Das war nicht immer so. Die leibeigenen Bauern z.B. hatten "eigenes" Land, das sie bewirtschafteten. usw. Und natürlich: ob nun mit oder ohne bge, heute ist die Gesellschaft verantwortlich für die Existenz aller ihrer Mitglieder (inclusive solcher, die von draußen kommen).