Mittwoch, 1. Oktober 2008

Geld spielt keine Rolle?

1. IWF und kleine und große Spritzen
Neuer Börsenabsturz und neue Milliardenspritzen * Ralf Streck 18.09.2008 15:42
Auch mit den Rettungsaktionen und massiven Geldspritzen schaffen es die Notenbanken weltweit nicht, den Finanzsektor zu beruhigen. Allein die US-Notenbank (FED) pumpte erneut 180 Milliarden US-Dollar in den Markt. Die Europäischen Zentralbank (EZB) sekundierte mit einer Geldspritze von 40 Milliarden Dollar, die Bank of Japan steuerte 60 Milliarden bei, die Bank of England war mit 40 Milliarden und die Bank of Canada mit 10 Milliarden dabei. Beteiligt haben sich auch die Zentralbanken der Schweiz, Indiens und Australiens. Die bisherigen Milliardenspritzen haben keine Beruhigung gebracht.
http://de.indymedia.org


Merkwürdig an dieser Notitz ist, daß vom IWF nicht geredet wird. Im IWF sind fast alle (volkseigenen) Zentralbanken "demokratisch" organisiert, und dort hinterlegt jedes Mitglied Milliardenspritzen für den Fall, daß bei einem Mitglied der Notfall eintritt. Also scheinen diese Spritzen ein "wilder" Eingriff am zuständigen IWF vorbei zu sein. Das kommt wohl wieder daher, daß die USA Schwierigkeiten haben, internationale Organisationen ernst zu nehmen. Seit Existenz der UNO besteht die US-Politik in der Parole: "Wir brauchen so einen planwirtschaftlichen Firlefanz nicht." Der IWF war aus Sicht der entwickelten Staaten bisher etwas für die "Armen", für die Doofen. Und die bisherige IWF-Politik war auch entsprechend arrogant. Man schrieb den "notleidenden" Staaten, den "Doofen" vor, was sie tun haben, um in den "Genuß" kleinerer Milliardenspritzen zu kommen (2001):
IWF-Direktor Horst Köhler gab überraschend bekannt, dass im Rahmen des so genannten Beistandskredits für Argentinien eine weitere Tranche in Höhe von 1,2 Milliarden Dollar bereits im September ausgezahlt werden soll. Wegen des drohenden "Ansteckungseffekts" soll Brasilien vorbeugende Krisenhilfe in Höhe von fünfzehn Milliarden Dollar erhalten, zudem sollen an die Türkei weitere 1,5 Milliarden Dollar ausgezahlt werden.
Wachsende Angst vor globaler Schuldenkrise (2001)

1,2 Milliarden für Argentinien im Jahre 2001 sind wohl die ersten Krisenpeanuts gewesen. Damals hat man noch monatelang um Dezimalen hinter dem Komma gerungen, und es ging um "Privatisierung" u.a. des argentinischen Finanzsystems. Verständlich, daß IWF-Hilfe heute nur möglichst außerhalb des IWFs von den USA angefordert oder angenommen wird, wo es um das 100 bis 1000-fache, um Billionen Dollar geht und obendrein von Verstaatlichungen gesprochen wird.

2. Wir "drucken" jetzt soviel Geld wie wir brauchen!
Nun diese schlappen 300 Mrd Dollar halfen nicht so viel. Einige Tage später erfährt man:
Drastische Worte vom Chef der US-Notenbank: Falls der US-Kongress die 700 Milliarden Dollar zur Rettung des US-Finanzsektors nicht bewillige, sieht Ben Bernanke zahlreiche Jobs in Gefahr. Trotz seiner Warnungen formiert sich im Senat prominenter Widerstand.
www.stern.de

3. Leben wir noch oder schon wieder im Sozialismus?
Straubhaar: Das ist eine Verstaatlichung, die mit Kapitalismus nichts mehr zu tun hat. Die USA müssen klarmachen, dass sie das nicht noch einmal machen, wenn neue Regeln für den Finanzsektor gelten.
www.focus.de

(Beim nächsten mal wird der große Straubhaar sicherlich einen ärgerlichen Beschwerdebrief an das kleine Washington schicken!)

4. Geld gestern und Geld heute
In der neueren Zeit, im "richtigen" Kapitalismus (19. Jh), war Geld Edelmetall (Gold), dann private "Banknoten": Zunächst wurde garantiert, daß jede Banknote gegen ein passendes Quantum Gold eingetauscht werden konnte. Die "Geldmenge" (Banknotenmenge) entsprach der "Goldmenge". Weil unter gewöhnlichen Umständen nicht alle Banknotenbesitzer gleichzeitig "ihr" Gold für die Banknoten zurückhaben wollten, konnten gefahrlos mehr Banknoten (Kredit!) ausgegeben werden, als durch Gold gedeckt wurde. Durch die Vergößerung der "Geldmenge" kam die "Wirtschaft" (der Kapitalismus) in Gang. Bereits große Goldfunde führten zu wirtschaftlichen Blütephasen, wie man z.B. in "Wir kommen nun zu Amerika." (MEW 07, Seite 210) lesen kann.
Die Banken waren ursprünglich "privat" mit einem gewissen Bankgeheimnis. Und es konnten Phasen entstehen, in denen niemand "sein" Gold zurück haben wollte, was sollte man auch mit Gold? Die "Deckung" der Banknoten verschob sich so auf die Kreditnehmer. Diese boten "Sicherheiten." Eine "natürliche" Grenze für die Banknotenausgabe, d.h. für Kredite, gab es bei diesem System nicht mehr. Jede Privatbank agierte nach eigenem Ermessen. Die eine Bank "simulierete" bei einer im Kellergewölbe gebunkerten Tonne Gold durch Banknoten (Kredite) zehn, eine andere zwanzig Tonnen Gold. Fatalerweise bedeuteten viele Kredite mehr Gewinn. Der Kollaps trat dabei schnell ein: Dazu mußte nur das "Geldvertrauen" erschüttert werden und immer mehr Menschen verlangten "ihr" Gold zurück, was mangels Masse nicht funktionieren konnte.

Hier "wuchs" und griff der Staat erstmals rabbiat ein. Das durch Gold gedeckte Zahlungsmittel, die Banknoten, wurden staatlich. Der Mangel an "natürlichen" Grenzen für die Kreditvergabe, konnte durch "gesetzliche" behoben werden. Auch das wichtige Notenbankgeheimnis wurde damit öffentlich einsehbar: wie hoch sind die realen Goldreserven und wieviel Banknoten (Kredite) sind ausgegeben worden?

Auf Grundlage dieser Golddeckung konnte "der Staat" trotzdem nicht einfach mal ein paar Milliardenspritzen verteilen, also mehr "ungedecktes" Geld verleihen als gesetzlich "erlaubt" war. Immer noch konnte "psychologisches Fehlverhalten" das "Vertrauen" in die Währung schwer erschüttern und zu Wirtschaftskrisen führen.

Ein möglicher (staatlicher) Eingriff, wäre "kommunistisches Geld" gewesen (Worte von Friedrich Engels): ein vom Gold unabhängiges "öffentliches" (staatliches) Zirkulationsmittel aus Papier und Aluminium, Geld ohne Deckung. Genau dieses Geld hat sich in den ehemaligen "Arbeiter und Bauernstaaten" ab 1917 entwickelt. Die sowjetischen Ökonomen nanntes dieses Plastegeld "Zirkulations- und Stimulationsmittel". In den 70er Jahren verabschiedete sich auch die USA vom "Goldstandard".

Heute ist Geld nicht mal mehr aus Papier: Es besteht aus Bits und Bytes auf absturzsicheren Festplatten, in Gestalt roter oder schwarzer Zahlen in Milliarden Dateien (Konten). Das Bargeld, also die bunten Scheinchen spielen in der gesamten "Geldmenge" und im Wirtschaftskreislauf kaum noch eine Rolle. Bares stellt zunehmend "Klimpergeld" für Arme dar, für solche Bürger, die kein Konto haben, oder die nicht via Kreditkarte zahlen können. Interessant ist, daß es ohne Bargeld auch nicht zu gehen scheint, da die roten und schwarzen Zahlen auf den Milliarden Konten irgendeine "Einheit", eine "Dimension" benötigen. Hinter der Zahl +/-1.000.000.000 muß Dollar oder Euro stehen. (Muß es deshalb Arme geben, welche die erforderliche Einheit mit sich herumschleppen?). Geld verschwindet und nimmt mehr und mehr die Gestalt einer von aller Materie befreiten, nackten "Idee" an.
Und inzwischen agieren immer weniger Menschen im Geldgeschehen. Sie werden durch "intelligente" Software, durch "Programme" ersetzt. Fehler können nicht mehr passieren! Solche Programme berechnen für künftige Entwicklungen "optimales" Verhalten und werden automatisch tätig: Nach präzise berechneten Zeitabschnitten werden, "Gelder" von einem Konto auf andere umgebucht. Das ist dann die Epoche, wo Konten mit zuvielen roten Zahlen als Spam automatisch in den virtuellen Papierkorb verschoben werden. Interessant in diesem Zusammenhang wäre noch die Frage, ob es bereits Konten gibt, die mit keinem real existierenden Menschen verbunden sind: schwarze Löcher, die uns aussaugen!

5. Geld morgen: Wie weiter?
Im Prinzip ist es egal ob Geld in "Wahrheit" nur lustiges Spielgeld ist oder eine naturgesetzliche Erscheinung. (Philosophisch betrachtet war Geld "von Anfang an" Spielgeld).
Interessant an diesem "Spielgeld" ist jedoch, daß zwar "Katastrophen" eintreten, aber real anscheinend nicht viel passiert. Oben stand in einem Zeitungsartikel, daß "viele Jobs in Gefahr seien". Festplatten kosten aber nichts mehr und sicherlich können ohne großen Aufwand für alle 6,7 Mrd Bürger unserer Erde Konten eingerichtet werden, worauf "intelligente" Software regelmäßig "Geld" einzahlt: ein globales Grundeinkommen.
Offensichtlich ist es kein unlösbares Problem, international mal eben 300 Mrd Dollar aufzutreiben, oder jetzt 700 Mrd Dollar in den USA. "Schulden" sind auch Guthaben. Und mit den Schulden werden auch die Guthaben "vererbt". Solange Schuldner und Gläubiger noch Menschen sind, treten mit dem Ableben der Menschen neue Verhältnisse ein (z.B. Erbschaftssteuer).
Die Vorgänge in den USA zeigen in die richtige Richtung, in Richtung eines internationalen einheitlichen Finanzwesens, mit nur noch einer "Währung", die wir mal "Earth" nennen wollen. Der "demokratische" IWF ist bereits ein dazu nötiger Zusammenschluss aller Zentralbanken: eine Weltzentralbank. Neben einer einheitlichen Währung geht es auch darum die anarchistische Kreditvergabe, wonach jeder nach Gutdünken beliebig viele Kredite auf beliebige "Sicherheiten" vergeben kann, etwas kalkulierbarer und planbarer zu gestalten. Immerhin ist das Finanzwesen "nur" ein Werkzeug zum Wirtschaften und kein Selbstzweck!
Diskussion zum Thema Geld

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5 Kommentare:

Edgar Hauster hat gesagt…

Kompliment, toller Artikel, verständlich und anschaulich. Und doch, Geld ist nicht gleich Geld. Aktien, z. B., sind theoretisch zunächst Unternehmensanteile und erst in zweiter Linie Investitionen. An den Rohstoffbörsen werden zwar Wertpapiere gehandelt, die aber u. a. die Rohstoffförderung beeinflussen. Was ich meine, ist, dass, selbst wenn man Geld als Bits und Bytes auf Festplatten interpretiert, dennoch die Verbindung zu der "realen" Wirtschaft besteht und es andernfalls andere Anreize geben müsste, die "reale" Wirtschaft funktionsfähig zu erhalten. Das aber sind keine Einwände gegen, sondern nur Anmerkungen zu deinem sehr guten Artikel.

P.S. Alte Männer 1: Kannst du für unsere Alters- und Leidensgruppe die Schrift ein wenig vergrößern?

P.S. Alte Männer 2: Ich habe mir Namen www.greatmonopoly.blogspot.com gesichert und will - im Alter, also bald - den Artikel "The Story of a Great Monopoly" aus "The Atlantic" von März 1881 in Deutsch und Englisch veröffentlichen, in dem es um John D. Rockefeller und Standard Oil geht. Immerhin habe ich ihn - mit etwas Mühe, nach 127 Jahren - im auf http://www.theatlantic.com/doc/199911u/monopoly gefunden.

Klaus Binder hat gesagt…

Hallo Edgar!

Danke für das "liberale" Kompliment. Es ist recht wichtig ("Gold" wert), da ich ja auch im Dunklen tappe (allerdings nicht im Trüben zu fischen gedenke). Das mit den Aktien usw ist natürlich richtig. Andererseits gibts zum Thema "Geld" und "Wert" tonnenweise Bücher, wie soll man sowas (inclusive einem Wink in die Geschichte) in so kurzer Blogform darstellen. Hier sollte es um die "Maß"-Einheit Geld gehen. Auch Aktien werden noch in Dollar oder Euro gemessen. Das "Problem" ist ja wohl auch, daß man einerseits mit Aktien herumspielt, den "Wert" aber doch gerne auf etwas "Festes" beziehen möchte, etwas, das sich nicht täglich ändert.

"The Story of a Great Monopoly" hab ich gerade vor mir. Scheint ein längerer Artikel zu sein... Etwas vernünftiges zu, über und von Rockefeller ist bestimmt kein Fehler, zumal der Mann nach wie vor bei den Top Ten der Illuminaten an erster Stelle steht.

Grüße
Klaus aus Kreuzberg

Klaus Binder hat gesagt…

Nachtrag: Die Schrift hab ich wieder an "alte" Leute angepaßt...

schokolade hat gesagt…

Hi Edgar Hauster.
Richtig Geld ist nicht gleich Geld.
Einerseits ist es Zirkulatiosmittel zur Vermittlung des Stoffwechsels zwischen Individuum und Produktionsmaschinerie.
Wenig Geld in Händen der Massen bedeutet wenig Stoffwechsel und flaue Konjunktur.
Vergleiche hier Klaus seinen Hinweis auf Marx' Artikel bezüglich Goldfunde in Amerika.
Andererseits repräsentiert das Geld einen Anteil am realen Reichtum (Industrieanlagen, Grundstücke, Häuser, usw.) .
Besitz dient dazu sich eine persönliche ökonomische Unabhängigkeit zu verschaffen und zu erhalten.
Wird die ökonomische Unabhängigkeit jedermann garantiert (z.b. Grundeinkommen) verliert sich der Wunsch nach Besitz von alleine.
Weil Privatbesitz z.B. auch belastet.
liebe Grüße Frithjof

Klaus Binder hat gesagt…

Moin Frithjof...

(Ich hatte dir vorhin eine mail an deine alte Addresse geschickt, ist die noch gültig).

Ja, den Zusammenhang zwischen (virtuellem) Geld und "realen" Werten, den Edgar anspricht und über den wir öfter diskutieren, der fehlt hier etwas. Man "handelt" heute ja außer mit Weizen, Öl oder Autos auch mit "Finanzprodukten". Du, Frithjof, hast das ja gut dargestellt, ich glaub z.B. hier:
http://www.forum.attac.de/viewtopic.php?p=71314#71314
Zwischen klassischer Produktion und Dienstleistung gibt es einen bemerkenswerten Unterschied. Die produzierten Autos "speichern" ihren "Wert". Dienstleistungen speichern aber keinen "Wert", man kann nicht mal gebrauchte Dienstleistungen weiterverkaufen.

Was auch fehlt: Immer größere "Geldmengen" suchen irgendwelche "Anlagen". Der Aufbau eines Eisenbahnnetzes in Afrika lohnt sich aber nicht. So wird immer mehr in die Finanzsysteme, Versicherungen und inzwischen in die Finanzierung von Finanzen gesteckt. Sowohl der Anteil bei der "Wertschöpfung" und am BIP als auch die Anzahl der in diesen Bereichen Beschäftigten nimmt (oder besser nahm?) rasant zu.
Das kommt vermutlich durch die globale Standortkonkurrenz, welche den einzelnen Volkswirtschaften durch Senkung (oder auch Nichterhöhung) der Steuer- und Abgaben Gelder entzieht, die eben nun ziel- und planlos über den ganzen Globus irren. Hier kann nur eine zentrale Steuer, eben eine Weltsteuer, abhelfen. Dadurch hätte die Weltgemeinschaft genau die Mittel in der Hand, um sie z.B. in Afrika investieren. Es muß und sollte ja nicht alles sein, ein Teil als Steuer, der andere Teil würde dann auch wieder produktiv eingesetzt werden können.

Klaus